Zentrales Hindernis aus Sicht der Träger und Betreuungskräfte ist der Verweis auf die nicht überschaubaren Risiken, die ein Kind mit Anaphylaxie-Risiko in der Schule mit sich bringe. Aussagen, mit denen Eltern konfrontiert werden sind: „Wenn ich den AAI anwende, ist das doch eine Körperverletzung, wurde bei der Erste-Hilfe-Schulung gesagt. Das sollten wir unbedingt unterlassen und wenn ich es doch mache und dem Kind passiert dabei etwas, bin ich dran!“ „Unser Gelände ist doch viel zu groß. Wir kriegen das doch gar nicht mit, wenn das Kind einen anaphylaktischen Schock erleidet – und dann verklagen uns die Eltern“ oder „Was soll man denn noch alles tun?!“
Auch wenn das Risiko eines Schock-Erlebnisses nicht bagatellisiert werden soll, so basieren die genannten Gefahren für Lehr- und Betreuungskräfte vor allem auf Unkenntnis.
Die Unfallkassen stufen einen anaphylaktischen Schock als Unfall im Sinne des § 8 SGB VII ein, was dazu führt, dass jegliche Heilungskosten in diesem Zusammenhang von dem Unfallversicherungsträger getragen werden. Und zum anderen kommen §§ 104, 105 SGB VII zur Anwendung, die jegliche weiteren Ansprüche des Geschädigten wie Schmerzensgeld und ähnliches ausschließen.
Das heißt auf „gut deutsch“: Egal, ob bei der Kontrolle des Zutatenverzeichnisses das Allergen versehentlich überlesen wurde, die Tüte mit den Erdnüssen aus dem nicht verschlossenen Schrank von ein paar neugierigen Kindern „geklaut“ und verteilt wurde oder der AAI im Eifer des Gefechtes nicht richtig verabreicht wurde, man muss als Lehrkraft in der Schule oder Betreuungsperson in der Kita in aller Regel nicht damit rechnen, zur Rechenschaft gezogen zu werden oder gar mit dem persönlichen Ruin.
Nur bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Schocks könnte der Unfallversicherungsträger unter Umständen Regressmöglichkeiten (§ 110 SGB VII) prüfen. Grobe Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn nicht einmal naheliegende Überlegungen vorgenommen wurden. Nach unserer Einschätzung dürfte das im Schulbereich zum Beispiel nur dann anzunehmen sein, wenn sich keine Gedanken über ein Notfallmanagement gemacht werden, mit den Mitschülern das Thema nicht angesprochen und der Caterer nicht ausreichend informiert wird.
Entgegen der immer noch zu findenden Darstellung in Erste-Hilfe-Fortbildungen, dass die Gabe von Medikamenten durch Lehrer und Erzieher aus haftungstechnischen Gründen vermieden werden sollte, ist das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung wegen der Nicht-Anwendung des AAI deutlich höher als das Risiko, wegen einer Körperverletzung bei der vielleicht falschen Anwendung verurteilt zu werden.
Auch wenn letzteres womöglich tatsächlich eine Körperverletzung darstellt, wird die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wohl wegen §34 (rechtfertigender Notstand) einstellen, während, die Verweigerung der Medikamentengabe als unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) eingestuft und mit einer Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr sanktioniert werden kann.
Klarheit für alle schaffen Bewertungen einzelner Schulbehörden und Kultusministerien, wie des Hamburger Senats, die explizit darauf verweisen, dass bei Notfällen unter bestimmten Bedingungen (ärztlicher Notfallplan, Schulung des Kollegiums) eine Ausnahmesituation vorliegt, die es erfordert, von dem Grundsatz abzuweichen, dass keine Injektionen verabreicht werden und ein Einsatz der intramuskulären Injektion notwendig ist.