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DAAB - Deutscher Allergie- und Asthmabund e.V.
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Betreuung von Kindern mit Anaphylaxie-Risiko in Kita und Schule

Nach der Gesetzeslage in Deutschland sollen Kinder mit und ohne Behinderung – soweit möglich – grundsätzlich gemeinsam gefördert werden. Das „möglich“ bezieht sich dabei nicht auf die finanziellen Möglichkeiten, sondern nach § 22a SGB VIII darauf, dass der individuelle Hilfebedarf die gemeinsame Förderung zulässt. Trotz dieser klaren gesetzlichen Aussage erfahren Kinder mit Anaphylaxie-Risiko und ihre Familien erhebliche Zugangsbarrieren bei der Suche nach einem Kindergarten- und Schulplatz.

Die rechtlichen Regelungen, die Eltern und ihren Kindern helfen, den Platz in einer Kindertageseinrichtung oder Schule zu bekommen, der ihren Wünschen und Bedürfnissen entspricht, und die Entscheidungen, die bei etwaigem Widerstand der zuständigen Behörde oder des Trägers zitiert werden können, wollen wir nachfolgend vorstellen. Besondere Aufmerksamkeit widmen wir dabei den Risiken in zivil- und strafrechtlicher Sicht, die Mitarbeiter in Kindertagesstätten und Schulen bei der Anwendung oder Nicht-Anwendung des Adrenalin-Autoinjektors (kurz AAI) eingehen.

Situation in der Kita

Es gibt eine Vielzahl von Kindern mit Anaphylaxie-Risiko, die in regulären Einrichtungen ohne zusätzliches Personal gut betreut und gefördert werden. Voraussetzung ist hier eine fundierte Aufklärung der Fachkräfte sowie eine Schulung in Bezug auf die Anwendung des AAI. Der DAAB stellt dazu seinen Mitgliedern Informationsmaterial zur Verfügung und bietet zudem Schulungen per Webinar für Erzieher/innen, Lehrer/innen oder Betreuer/innen aus dem Hort an. Strukturierte Schulungsprogramme für Eltern und für Erzieher/innen werden von AGATE Schulungszentren angeboten.

Die Träger und Fachkräfte verweisen darauf, dass es bei dem aktuell in vielen Kindertageseinrichtungen herrschenden Fachkraft-Kind-Schlüssel schwierig ist, jeglichen Kontakt mit Allergenen zu verhindern. Insbesondere wer die Aufsicht über sehr junge Kinder unter 3 Jahren hat oder Kinder mit multiplen Allergien oder mit Nahrungsmittelallergien gegen Grundnahrungsmittel wie Weizen, Milch oder Ei betreut, kann nicht jedes „Tauschgeschäft“ mit mitgebrachtem Proviant im Blick haben und jede Zutatenliste auf Lebensmitteln oder Inhaltstoffliste auf Pflegemitteln und Bastelmaterialien lesen.

Neben und zusätzlich zur Aufklärung und Schulung der regulären Betreuer ist eine weitere Möglichkeit der Situation zu begegnen, eine zusätzliche Betreuung für das Kind mit Anaphylaxie-Risiko, welche die Kontrollfunktion der Eltern in der Einrichtung übernimmt, die Zutatenlisten liest, den Geburtstagskuchen freigibt (oder Ersatz dabeihat), die Oberflächen nochmal abwischt und, und, und.

Diese persönliche Assistenz muss, um die Teilhabe wirklich zu gewährleisten, in der Kita durchgängig anwesend sein und kostet daher Geld und zwar in einem Umfang, der von den meisten Eltern nicht gewährleistet werden kann.

Bei dieser persönlichen Assistenz zum Besuch eines Kindergartens handelt es sich um eine besondere Form der Eingliederungshilfe, deren Kosten nach §§ 53 Abs. 1, 54 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX vom Träger der Sozialhilfe zu übernehmen sind.

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat in seinem Beschluss vom 27.08.2015 (Az. L 8 SO 177/15 B ER) darauf hingewiesen, dass die Betreuung für den zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits dreijährigen Jungen bei einer Tagespflegeperson nicht gleichermaßen geeignet ist, wie der Besuch einer Kita mit der zusätzlichen Betreuung durch eine Eingliederungshilfe.

Ob diese Einschätzung auch für Kinder unter drei Jahren einer gerichtlichen Überprüfung Stand hält, ist allerdings eher zweifelhaft. So hat das Oberlandesgericht Braunschweig in einer aktuellen Entscheidung in Bezug auf den Rechtsanspruch die Gleichwertigkeit von der Betreuung in Tagespflege und Kindertagesstätte herausgestellt (Urteil vom 29.11.2017, Az.: 11 U 59/17).

Haftungs- und strafrechtliche Hinweise

Zentrales Hindernis aus Sicht der Träger und Betreuungskräfte ist der Verweis auf die nicht überschaubaren Risiken, die ein Kind mit Anaphylaxie-Risiko in der Schule mit sich bringe. Aussagen, mit denen Eltern konfrontiert werden sind: „Wenn ich den AAI anwende, ist das doch eine Körperverletzung, wurde bei der Erste-Hilfe-Schulung gesagt. Das sollten wir unbedingt unterlassen und wenn ich es doch mache und dem Kind passiert dabei etwas, bin ich dran!“ „Unser Gelände ist doch viel zu groß. Wir kriegen das doch gar nicht mit, wenn das Kind einen anaphylaktischen Schock erleidet – und dann verklagen uns die Eltern“ oder „Was soll man denn noch alles tun?!“

Auch wenn das Risiko eines Schock-Erlebnisses nicht bagatellisiert werden soll, so basieren die genannten Gefahren für Lehr- und Betreuungskräfte vor allem auf Unkenntnis.

Die Unfallkassen stufen einen anaphylaktischen Schock als Unfall im Sinne des § 8 SGB VII ein, was dazu führt, dass jegliche Heilungskosten in diesem Zusammenhang von dem Unfallversicherungsträger getragen werden. Und zum anderen kommen §§ 104, 105 SGB VII zur Anwendung, die jegliche weiteren Ansprüche des Geschädigten wie Schmerzensgeld und ähnliches ausschließen.

Das heißt auf „gut deutsch“: Egal, ob bei der Kontrolle des Zutatenverzeichnisses das Allergen versehentlich überlesen wurde, die Tüte mit den Erdnüssen aus dem nicht verschlossenen Schrank von ein paar neugierigen Kindern „geklaut“ und verteilt wurde oder der AAI im Eifer des Gefechtes nicht richtig verabreicht wurde, man muss als Lehrkraft in der Schule oder Betreuungsperson in der Kita in aller Regel nicht damit rechnen, zur Rechenschaft gezogen zu werden oder gar mit dem persönlichen Ruin.

Nur bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Schocks könnte der Unfallversicherungsträger unter Umständen Regressmöglichkeiten (§ 110 SGB VII) prüfen. Grobe Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn nicht einmal naheliegende Überlegungen vorgenommen wurden. Nach unserer Einschätzung dürfte das im Schulbereich zum Beispiel nur dann anzunehmen sein, wenn sich keine Gedanken über ein Notfallmanagement gemacht werden, mit den Mitschülern das Thema nicht angesprochen und der Caterer nicht ausreichend informiert wird.

Entgegen der immer noch zu findenden Darstellung in Erste-Hilfe-Fortbildungen, dass die Gabe von Medikamenten durch Lehrer und Erzieher aus haftungstechnischen Gründen vermieden werden sollte, ist das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung wegen der Nicht-Anwendung des AAI deutlich höher als das Risiko, wegen einer Körperverletzung bei der vielleicht falschen Anwendung verurteilt zu werden.

Auch wenn letzteres womöglich tatsächlich eine Körperverletzung darstellt, wird die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wohl wegen §34 (rechtfertigender Notstand) einstellen, während, die Verweigerung der Medikamentengabe als unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) eingestuft und mit einer Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr sanktioniert werden kann.

Klarheit für alle schaffen Bewertungen einzelner Schulbehörden und Kultusministerien, wie des Hamburger Senats, die explizit darauf verweisen, dass bei Notfällen unter bestimmten Bedingungen (ärztlicher Notfallplan, Schulung des Kollegiums) eine Ausnahmesituation vorliegt, die es erfordert, von dem Grundsatz abzuweichen, dass keine Injektionen verabreicht werden und ein Einsatz der intramuskulären Injektion notwendig ist.

Quelle: modifiziert nach Artikel aus Allergie konkret
Autor: RA Lars Ihlenfeld, Berlin
www.kitarechtler.de

Rahmengesetzgebung auf Bundesebene

Die Kindertagesbetreuung ist im Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) geregelt und wird auch als Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) bezeichnet: § 22a befasst sich speziell mit der Förderung in Tageseinrichtungen

 

§ 22a SGB VIII:
„Kinder mit und ohne Behinderung sollen, sofern der Hilfebedarf dies zulässt, in Gruppen gemeinsam gefördert werden. Zu diesem Zweck sollen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit den Trägern der Sozialhilfe bei der Planung, konzeptionellen Ausgestaltung und Finanzierung des Angebots zusammenarbeiten.“ (Absatz 4)

„Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen die Realisierung des Förderauftrags nach Maßgabe der Absätze 1 bis 4 in den Einrichtungen anderer [freier] Träger durch geeignete Maßnahmen sicherstellen.“ (Absatz 5)“

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